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Außenministerin Annalena Baerbock bei der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen Sicherheitsstrategie

Quelle: „Die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens“ - Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)

https://www.youtube.com/watch?v=LKFf0hg-2VE

Von Berlin bis nach Kiew, beziehungsweise bis zur ukrainische Grenze, ist es ungefähr so weit wie von Flensburg nach Freiburg: Zehn Autostunden.

Zehn Autostunden, die man normalerweise einfach so fährt. Und jetzt sind es zehn Autostunden, die uns von Frieden und Krieg trennen. Das hätte sich wahrscheinlich niemand von uns jemals vorstellen können. Wir erleben einen brutalen Angriffskrieg zehn Autostunden von hier, mitten in Europa. Real, nah, furchtbar.

Als wir im Koalitionsvertrag die Vorlage einer nationalen Sicherheitsstrategie verankert haben, haben sich wohl die wenigsten von uns hier im Raum – aber eigentlich überall auf der Welt – vorstellen können, was gerade passiert: Der russische Präsident greift seinen Nachbarn an. Er bricht mit unserer Friedensordnung in Europa. Und er bricht mit unserer Charta der Vereinten Nationen.

Heute fragen uns unsere Kinder am Frühstückstisch, am Mittagstisch, am Abendbrottisch, ob der Krieg zu uns nach Deutschland kommt, was eigentlich Atomwaffen sind. Überall in der Republik gehen Menschen auf die Straße, sie demonstrieren für Frieden und Freiheit und Sicherheit.

Und wir spüren so eine Sehnsucht, die wir wahrscheinlich lange nicht, die vielleicht meine Generation noch nie so richtig gespürt hat: Eine Sehnsucht nach Sicherheit. Das ist eine zutiefst menschliche Sehnsucht – im Sinne vielleicht einer Ver-Sicherung für das, wofür wir alle gemeinsam einstehen: Für die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens.

Und darum geht es bei unserer Nationalen Sicherheitsstrategie: Die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens. Diese Sicherheit setzt sich aus drei essenziellen Elementen zusammen, die sich nicht voneinander trennen lassen.

Sicherheit heißt erstens: Die Unverletzlichkeit unseres Lebens. Der Schutz vor Krieg und Gewalt, vor akuter, konkreter Bedrohung.

Zweitens heißt Sicherheit, die Freiheit unseres Lebens zu schützen. Auch das, worüber wir uns vielleicht noch nie so richtig Gedanken gemacht haben. Die Freiheit unseres Lebens – was heißt das eigentlich, frei zu leben? Wir spüren das gerade wieder in der Ukraine: Im Mut der Männer und Frauen, die ihr Land verteidigen. In ihrer Entschlossenheit sehen wir, was diese Menschen verteidigen, im Zweifel auch mit ihrem Leben: nämlich Demokratie und ihr Recht, über ein Leben in Freiheit selbst entscheiden zu können.

Das dritte Element ist die Sicherheit der Grundlagen unseres Lebens. Wo Krieg – auch das sehen wir auf furchtbare Art und Weise in den Städten, die jetzt belagert werden – die Lebensgrundlagen auslöscht, ist keine Sicherheit. Aber auch dort – und das wissen wir weltweit –, wo die Folgen des Klimawandels, wo Hunger, Armut und auch fehlender Wohlstand der Menschen Konflikt und Leid erzwingen, gibt es keine Grundlage für sicheres Leben in Freiheit.

Der Sicherheit unseres Lebens. Unserem Frieden und unserer Freiheit in einem demokratischen Europa. Dem ist unsere Nationale Sicherheitsstrategie gewidmet.

Dabei müssen wir Sicherheit nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Zukunft heraus denken. Wir wollen das – trotz aller Gräuel, die wir gerade erleben – selbstbewusst tun, aber auch selbstreflektiert und wenn nötig selbstkritisch.

Wir wollen diesen Prozess gemeinsam mit den unterschiedlichen Ressorts der Bundesregierung, mit Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, und zwar fraktionsübergreifend, und vielen nationalen und internationalen Partnerinnen und Partnern breit und partizipativ gestalten.

Wir tun das auch, weil Sicherheitspolitik mehr ist als Militär plus Diplomatie. Wenn Investitionen in Infrastruktur, wenn Handelspolitik Teil unserer Sicherheit sind, dann heißt das auch: Entscheidungen über Sicherheit werden eben nicht nur im Auswärtigen Amt oder im Verteidigungsministerium getroffen, sondern auch in Unternehmen, in Kommunen und in Universitäten.

Für mich ist das ein partizipativer Prozess für unsere Strategie, aber auch der Kern dessen, was Außenpolitik für mich und unser Haus hier gemeinsam bedeutet. Eben nicht nur, dass wir einen Austausch zwischen Hauptstädten, zwischen Ministern und Ministerinnen haben, sondern zwischen Menschen. Denn es geht um menschliche Sicherheit. Es geht um die Freiheit jedes einzelnen Menschen – bei uns und weltweit.

Das heißt auch, Menschen nicht nur zusammenzubringen, Brücken zu bauen, sondern auch – weil das Leben real ist – „out of the box“ zu denken, pragmatisch zu sein und sich nicht nur an Paragraphen abzuarbeiten. Und es bedeutet für mich und für uns die Bereitschaft, sich die Sorgen und Nöte anderer, auch die Sichtweise anderer anzuhören, Dilemmata klar zu benennen, anstatt über sie hinwegzugehen, und auch bereit zu sein, sich in die Sicht des anderen zu versetzen, selbst wenn man seine Position so ganz und gar nicht teilt.

Für unsere Sicherheitsstrategie gilt: Im Lichte von Russlands massivem Bruch mit unserer Friedensordnung müssen wir die Prinzipien, die uns leiten, noch klarer in praktische Politik umsetzen.

Dabei sind für mich entscheidend:

  • Eine klare Haltung.
  • Eine gestärkte Handlungsfähigkeit.
  • Und geschärfte außen- und sicherheitspolitische Instrumente.

Zu unserer Haltung: Russlands aggressives Vorgehen führt es uns vor Augen: Bei Fragen von Krieg und Frieden, bei Fragen von Recht und Unrecht kann kein Land, auch nicht Deutschland, neutral sein. Viel ist in den letzten Wochen über die Geschichte unseres Landes und unsere deutsche Verantwortung geschrieben worden. Ich sage es hier ganz klar: Ja: Aus unserer Geschichte, aus der deutschen Schuld für Krieg und Völkermord erwächst für uns, erwächst für mich in der Tat eine besondere Verantwortung: Und zwar die Verpflichtung, jenen zur Seite zu stehen, deren Leben, deren Freiheit und deren Rechte bedroht sind.

Ich möchte daher erneut Desmond Tutu zitieren: „If you are neutral in situations of injustice, you have chosen the side of the oppressor.“

Das gilt für unseren Umgang mit Russland. Das gilt aber auch für unseren Umgang mit anderen autokratischen, diktatorischen Regimen, die Freiheit und Demokratie und Sicherheit in Frage stellen, die unsere internationalen Regeln brechen.

Und ich glaube – auch in diesen so wahnsinnig schwierigen Tagen, wo wir Entscheidungen innerhalb von wenigen Stunden treffen – müssen wir immer wieder reflektieren und aufpassen, dass wir nicht die alten Fehler der Vergangenheit erneut wiederholen: Dass es gute und schlechte Diktatoren gibt. Nein, wir müssen für unsere Werte und für unsere Haltung weltweit einstehen. Das heißt natürlich müssen wir – und hier sind viele im Raum, die das seit Jahren und Jahrzehnten genau so machen – auch mit autoritären Regimen sprechen. Mit denen, die unsere Haltung so gar nicht teilen. Sprechen ist Kern von Diplomatie. Entscheidend ist dabei, dass wir uns nicht zum Schweigen verbannen lassen, dass wir Dinge nicht runterschlucken, weil wir etwa wirtschaftlich oder energiepolitisch abhängig sind. Sondern dass wir Position beziehen, auch wenn es schwierig ist, auch bei Fragen wie jetzt mit Blick auf Öl oder andere Embargos. Position beziehen für die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens.

Dazu müssen wir handlungsfähig sein – und das ist mein zweiter Punkt. Unsere Stärke liegt in unserer internationalen Geschlossenheit. Das ist es, was wir Putins Aggression gerade gemeinsam entgegenhalten. Entschlossen haben wir als EU – auch wenn wir an vielen anderen Punkten wie die Kesselflicker streiten – gemeinsam mit härtesten Sanktionen reagiert. Genauso im Rahmen der G7, im Rahmen der NATO und mit vielen, vielen anderen Ländern weltweit.

Denn der Angriff Russlands auf die Ukraine bedeutet eine geopolitische Zäsur mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die europäische Sicherheit. Die Europäische Union formuliert derzeit erstmals so ausführlich wie noch nie eine sicherheitspolitische Strategie. Die Initiative dazu hat unser Land, hat Deutschland vor einiger Zeit ergriffen. Und dieser Strategische Kompass, der jetzt auf dem Tisch liegt und natürlich nochmal angepasst wird, muss und wird den neuen Realitäten auf unserem Kontinent Rechnung tragen.

Zugleich – und auch das wird in dieser Strategie, in diesem Strategischen Kompass verankert sein – zeigt dieser Krieg einmal mehr, dass die Sicherheit Europas von der Bündnisverteidigung der NATO abhängt. Der Strategische Kompass soll deshalb die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU komplementär zur NATO ausrichten und so den europäischen Pfeiler des transatlantischen Bündnisses stärken und ausbauen. Dabei müssen wir uns auch der Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie widmen. Nicht, um einfach nur „mehr“ zu machen, mehr Geld auszugeben, sondern um effektiver zu sein. Die EU hat allein sechs Mal so viele Waffensysteme im Einsatz wie die USA. Diese Zersplitterung müssen wir überwinden.

„Mehr EU“ bedeutet sicherheitspolitisch nicht „weniger im transatlantischen Bündnis“. Putins Aggressionskrieg führt uns vor Augen, dass wir unsere Bündnisverteidigung weiterdenken müssen. Und unsere Alliierten – das haben wir deutlich gespürt – verlangen von uns als größte europäische Volkswirtschaft Führung in diesem Prozess.

Die NATO gibt sich im Sommer ein neues Strategisches Konzept. Die Staats- und Regierungschefs werden es Ende Juni in Madrid verabschieden. Und wir wissen heute, und wir diskutieren das genau in diesem Moment: Die bisherige „Stolperdraht“-Logik, die durch Mindestpräsenzen in den Baltischen Staaten und Polen signalisiert, dass ein Angriff auf ein NATO-Land ein Angriff auf alle ist, wird in der jetzigen Form nicht mehr ausreichen.

Wir müssen daher die Verstärkungen, die wir in den letzten Wochen vorgenommen haben, langfristig ausgestalten. Unsere militärischen Übungen müssen die neuen Realitäten abbilden. Und wir müssen der Tatsache Rechnung tragen, dass das gesamte östliche Bündnisgebiet einer neuen Bedrohung unterliegt, wir also NATO-Präsenzen in den Ländern Südosteuropas aufstellen müssen. Deutschland wird hierzu in der Slowakei einen substanziellen Beitrag leisten. 

Und auch das hat uns der Krieg vor Augen geführt: Die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben. Daher hat die Bundesregierung sich jetzt für die Beschaffung der F-35 entschieden. Dennoch gilt: Unser Ziel bleibt eine nuklearwaffenfreie Welt. Über dieses Ziel wollen wir mit unseren Partnern sprechen – im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages. Aber auch als Beobachter mit den Mitgliedern des Atomwaffenverbotsvertrags.  

Ich möchte, dass wir eine ehrliche Debatte darüber führen, wie wir die Voraussetzungen für Abrüstungsschritte schaffen können. Das geht nicht mit einseitigen Forderungen an unsere westlichen Bündnispartner: Echte Abrüstungsschritte wird es nur geben, wenn alle Nuklearwaffen-Staaten glaubhafte Schritte unternehmen. Und auch – das ist das Schlimme an der jetzigen Situation – wissen wir, dass Putin jetzt genau das Gegenteil macht, indem er mit dem Einsatz von Nuklearwaffen droht.

Nichts desto trotz: Wir stehen auf der Seite des internationalen Rechts. Das ist eine Position der Stärke. Und deswegen ist für uns klar und wird auch in dieser Nationalen Sicherheitsstrategie so verankert werden: Abrüstung und Rüstungskontrolle bleiben zentraler Bestandteil unserer Sicherheit. Wir müssen Abrüstung und Rüstungskontrolle komplementär zu Abschreckung und Verteidigung denken.

Das heißt Wehrhaftigkeit im Bündnis. Das ist entscheidend für unsere Handlungsfähigkeit. Für mich beschreibt Wehrhaftigkeit sowohl die Fähigkeit, als auch den Willen, sich zu verteidigen. Und ich bin mir bewusst, dass das für viele Menschen in Deutschland – für viele hier in diesem Raum, ich würde mich jedenfalls nicht ausschließen davon – lange ein Wort war, was man nicht einfach so in den Mund genommen hat. Aber ich bin überzeugt, unsere Wehrhaftigkeit entscheidet unsere Sicherheit. Unsere Sicherheit für Freiheit für unser Leben.

Mit dem Sondervermögen für unsere Verteidigungsfähigkeit haben wir daher einen wichtigen Schritt gemacht, um unsere Streitkräfte schneller zu modernisieren, voll auszustatten, aber auch – und das ist wichtig – um unsere gemeinsame Bündnisfähigkeit zu stärken. Denn es ist wichtig, dass wir Wehrhaftigkeit auf der Höhe der Zeit definieren. Und nicht auf der Höhe des letzten Jahrhunderts. Das heißt, Fragen wie Cyber, aber auch Stabilisierungshilfe spielen dabei eine zentrale Rolle.

Wir müssen Sicherheit für die Zukunft denken. Sonst müssten wir keine neue Sicherheitsstrategie schreiben. Und so wird unsere Nationale Sicherheitsstrategie zentrale strategische Baustellen angehen, die wir bisher noch nicht in der Tiefe im politischen Raum und vielleicht auch in Europa ausführlich genug diskutiert haben.

Wir sehen jetzt, das waren ja immer die strategischen Fragen der Vergangenheit: Verteidigen wir unsere Sicherheit fern von hier am Hindukusch oder anderen Orten? Oder verteidigen wir unsere Sicherheit direkt vor unserer Haustür? Wir erleben jetzt in einer vernetzten Welt: Es ist nicht entweder oder. Fern oder nah. Sondern wir verteidigen unsere Sicherheit sowohl hier vor unserer Haustür, 10 Autostunden von hier entfernt, genauso wie in der vernetzten Welt.

Und wir erleben hier bei uns und haben es in den letzten Jahren auch schon erlebt: Dass in einer digitalisierten Welt die Bedrohungen von innen und von außen komplett verschwimmen. Wir haben Trennlinien auch bei uns in unserer Verfassung stehen. Da müssen wir uns ehrlich fragen, und ich glaube, niemand hier hat jetzt schon die einzige Antwort: wie gehen wir mit diesen alten Trennlinien in Zukunft um?

Wir sehen auch mit Blick auf Belt and Road, dass Investitionen gerade in Infrastruktur sicherheitsrelevant sind. Wir haben eine europäische Souveränität definiert, wo wir klar und deutlich machen, Zusammenarbeit immer dort wo möglich und Eigenständigkeit immer wo nötig. Aber man kann nur eigenständig agieren, wenn man nicht komplett abhängig von anderen ist.  Und das erleben wir nicht nur bei uns in Europa. Sondern das erleben wir weltweit. In Afrika, aber gerade auch im indopazifischen Raum – wenn wir uns anschauen, in welche Länder China komplett in die Stromversorgung investiert hat. Dann sehen wir auch, dass sich dort Fragen von Souveränität, territorialer Integrität und Fragen des internationalen Völkerrechts ganz eindrücklich stellen. Und deswegen werden wir in den nächsten Monaten nicht nur eine neue Sicherheitsstrategie erarbeiten, sondern auch eine neue China-Strategie.

Meine Damen und Herren,
Handlungsfähig sind wir durch die Stärke unserer Bündnisse, durch unsere Wehrhaftigkeit. Handlungsfähigkeit bedeutet aber auch, nicht abhängig und erpressbar zu sein in seinen Wirtschafts- und Energiebeziehungen. Auch das zeigt dieser Krieg in all seiner Schärfe.  

Etliche von uns hier im Raum haben in den letzten Jahren immer wieder unterstrichen, dass Energieversorgung auch eine Sicherheitsfrage ist. Genau vor acht Jahren hat Russland die Krim annektiert, im Bruch mit dem Völkerrecht. Und eigentlich wussten wir vieles, was wir jetzt erneut diskutieren, schon vor acht Jahren. Es war ja nicht ohne Grund – und hier sitzen einige aus dem Europaparlament –, dass Europa damals diskutiert hat: wie ist das eigentlich mit der Gasrichtlinie? Was bedeutet eigentlich Unbundling? Was bedeutet Energieeffizienz und das Zusammenspiel von Energie, Klima und Wirtschaftsfragen? Das in ganz vielen Think Tanks – auch hier sind einige heute hier – hat diese Debatte stattgefunden.

Und die Tragik des Ganzen ist, dass wir es eigentlich wussten und dann ist es aber irgendwie zerfasert. Es bringt jetzt überhaupt nichts, zu sagen: wer hat in der Vergangenheit schon was gewusst und gesagt. Das ist vergossene Milch. Jetzt geht es darum, es endlich richtig zu machen. Und deswegen ist es so entscheidend, dass das Bundeswirtschaftsministerium, dass das Energieministerium alles dafür tut, und zwar auf Hochdruck, dass wir unabhängig werden von fossilen Energieimporten. Gerade aus Russland, aber eben auch nicht in eine neue Abhängigkeit von anderen Ländern hineinschlittern, sondern energiepolitisch eine eigene Souveränität haben. Wissend, dass wir immer auch grüne Energien importieren müssen.

Klar ist: Weg von den fossilen Brennstoffen und schneller hin zu erneuerbaren und effizienten Energien. Das sind nicht nur Investitionen in saubere Energie, sondern das sind Investitionen in unsere Sicherheit und damit in unsere Freiheit.

Und damit sind wir bei der sicherheitspolitischen Frage unserer Zeit: Der Klimakrise. Und zwar nicht in Konkurrenz zur Herausforderung von Krieg und Frieden. Sondern im Zusammenspiel. Das ist ja die wahnsinnig große Herausforderung. Die Grundlagen für die Sicherheit unseres Lebens haben wir nur, wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen. Und ich sage hier ganz deutlich „in den Griff bekommen“, und nicht „stoppen“. Wir können die Erderwärmung nicht mehr stoppen. Wir haben bereits eine Erderwärmung von über 1 Grad. Und deswegen geht es nicht nur um „Mitigation“. Sondern deswegen geht es aus sicherheitspolitischen Gründen – und das ist das, was Jennifer Morgan und viele andere hier im Haus gemeinsam mit den anderen Ressorts auf den Weg bringen werden – auch um Anpassung und „Loss and Damage“, um die meist verletzlichen Staaten sicher in die Zukunft führen zu können, im Lichte dieser Erderwärmung.

Weil wir sehen, wie die Klimakrise Sicherheit gerade in den verletzlichen Staaten weiter untergräbt. Das sehen wir weltweit. Wir sehen es insbesondere im Sahel, wo Extremwetterereignisse, Ernährungsunsicherheit und Migration Krisen zwischen Staaten verschärfen. Und es ist kein Zufall, dass Dschihadisten und Organisierte Kriminalität diese Fragilität als Einfallstor nutzen, um ihre Machtinteressen, ihren Hass gegen Menschen durchzusetzen und damit nicht nur die Sicherheit vor Ort, sondern auch unsere Sicherheit hier in Europa gefährden. Deswegen ist Klimaaußenpolitik ein integraler Bestandteil unserer Sicherheitsstrategie. Jede Tonne weniger CO2, jedes Zehntelgrad weniger an Erderwärmung ist ein Beitrag zur menschlichen Sicherheit.

Das heißt, wir müssen uns unseren wirtschaftlichen Abhängigkeiten intensiv stellen. Lange galt der Grundsatz: Je mehr wirtschaftliche Verflechtung, desto besser. Jetzt erleben wir, dass eine einseitige wirtschaftliche Ausrichtung uns gerade verletzlich macht. Nicht nur mit Blick auf Russland. Wir müssen daher, wenn wir über Konnektivität reden, wenn wir über Abhängigkeit reden, vor allem dazu kommen, dass wir Dinge zusammen denken. Es ist nicht so: Da ist die Handelspolitik. Hier ist die Infrastrukturpolitik. Und dann ist da hinten noch die Außen- und Sicherheitspolitik. Nein, das gehört alles zusammen.

Denn Verwundbarkeit im 21. Jahrhundert, das kann eben auch sein, wenn autoritäre Staaten Milliarden von Euro in europäische Autobahnen, Straßen, Stromnetze und Häfen investieren. Deswegen stärken wir gemeinsam in der Sicherheitsstrategie, aber auch innerhalb dieser Bundesregierung, unsere außenwirtschaftlichen Instrumente. Und das ist der Kern von einer wertegeleiteten Außenpolitik. Eine wertegeleitete Außenpolitik bedeutet, gleichzeitig Werte und Interessen – auch wirtschaftliche Interessen– zu verteidigen. Weil das eine mit dem anderen ganz eng zusammenhängt.

Und damit bin ich bei meinem dritten Punkt: Unseren außen- und sicherheitspolitischen Instrumenten. Denn es ist nicht nur eine Frage bei Sicherheit von Verteidigung. Es gibt auch andere Punkte neben dem Militär. Wenn wir uns im Kräftemessen des 21. Jahrhunderts global behaupten wollen, dann müssen wir alle unsere Instrumente auf die Höhe der Zeit bringen – militärisch, politisch, analog, digital, technologisch. Wir müssen ein umfassendes Verständnis von Sicherheit haben, ohne dabei total unscharf zu werden.

Ich bin zutiefst überzeugt, dass unser breites deutsches Engagement in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Welt – ob in der Diplomatie, in der Krisenprävention, in der Auswärtigen Kulturpolitik, Sport, Bildungsarbeit, Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe – einen entscheidenden Beitrag auch zu unserer Sicherheit leistet. Weil wir als Deutschland wahrgenommen werden. Und zwar wahrgenommen werden genau in dieser Vielfalt.

Wir haben das in den letzten Tagen gesehen. Dass wir andere Länder, die nicht ganz sicher waren, wie sie sich positionieren sollten, nicht nur dadurch überzeugen konnten, eine klare Haltung zu beziehen, weil wir gesagt haben: es geht um unsere europäische Friedensordnung, es geht um internationales Recht. Sondern auch, weil wir aufgrund von jahrelanger Diplomatie, guten Beziehungen, auch dem Zuhören, auch der Selbstkritikfähigkeit ein gewisses Vertrauen genießen. Nicht überall, aber an vielen Orten dieser Welt. Das ist eine Dividende einer umfassenden, multilateralen deutschen Außenpolitik.

Ich glaube, wir alle, und ich auch persönlich als neue deutsche Außenministerin, bin dankbar dafür. Aber genau das ist auch Auftrag, das jetzt nicht zu vergessen, sondern in Zukunft weiter zu stärken und auszubauen. Diplomatie, Kulturarbeit, Bildung, Sport, Krisenmediation – ein Engagement, das auf Strecke und Breite angelegt ist, wo man die Erfolge nicht gleich am nächsten Tag sieht – auch das sind Investitionen in unser aller Sicherheit.

Denn so komplex wie die Krisen sind, so komplex müssen auch unsere Antworten sein. Wenn jetzt etwa durch massive Lieferausfälle, und es wird heftig werden, weil die Ukraine nicht mehr Getreide und vieles andere an Länder unter anderem in Afrika liefern kann, und so Menschen vom Hungertod noch stärker bedroht sind, dann steigt auch die Gefahr für neue Konflikte, aber auch für falsche Narrative.

Deswegen müssen wir jetzt in dieser akuten Situation und in unserer nationalen Sicherheitsstrategie mit einem breiten Instrumentenkoffer agieren: Von Diplomatie, Friedenförderung, Stabilisierung, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und der finanziellen und substantiellen Unterstützung von Ländern und internationalen Organisationen.

Aber auch hier gilt: „Immer, immer mehr“ ist nicht automatisch „immer, immer besser“. Auch hier müssen wir uns ehrlich fragen, wie effektiv unsere Mittel sind und was sie zur Stabilisierung der Regionen und unserer eigenen Sicherheit beitragen. Und ich glaube, wir können alle sagen, dass die Gießkannenmethode sicherlich nicht die effizienteste Maßnahme ist. Wenn man als neue Ministerin noch nicht so ganz weiß, was eigentlich andere Ressorts in einem Land unterstützen, dann ist das leider offensichtlich kein Zufall, sondern es zeigt auch, wieviel stärker wir unsere Zusammenarbeit im außen-, aber auch wirtschafts-, energie-, entwicklungspolitischem Raum miteinander koordinieren müssen.

Das haben wir im Koalitionsvertrag unter einer kohärenten Außenpolitik definiert. Aber auch das wird Kern dieser Sicherheitsstrategie, dass wir unsere Finanzierung miteinander abstimmen und nicht gegeneinander auf den Weg bringen.

Meine Damen und Herren,
komplexe Fragen brauchen komplexe Antworten. Und ich habe es eingangs angedeutet: Die größte Herausforderung wird sicherlich die des Cyber-Raums sein. Weil wir sehen, dass Cyber ein zentraler Teil einer modernen Kriegsführung ist. Wir erleben auch, dass bisherige Kriegsführung, die wir zum Teil schon als überholt erachtet hatten, angewandt wird. Aber die große Herausforderung ist, dass die Cyberkriegsführung, dass hybride Kriegsführung mit dazu kommt.

Und die Spill-Over Effekte, die das haben kann, die sehen wir derzeit nur in Ansätzen. Wir erleben es gerade auch mit Hacktivisten, die diesen Konflikt anheizen könnten. Wo man gar nicht weiß: Wer ist eigentlich der Akteur? Was früher ein Angriff auf eine Gasleitung war, mit einer Bombe oder einer Rakete, ist heute ein Hack auf Krankenhäuser. Und wenn es ganz schwierig ist, an sechs verschiedenen Orten von unseren sechzehn Bundesländern. Wer ist dann dafür zuständig? Die Bundeswehr, das BKA oder die sechs unterschiedlichen Bundesländer – weil wir gar nicht wissen, ob das Zufall ist, oder ob das ein Angriff ist?

Diese Bedrohungen zeigen: Wir brauchen nicht nur starke Cyber-Abwehrfähigkeiten, sondern ein Teil unserer Arbeit an der nationalen Sicherheitsstrategie wird sich auch mit den Kompetenzen zwischen Bundeswehr und nationalen Sicherheitsbehörden, zwischen Bund und Ländern beschäftigen müssen.

Meine Damen, meine Herren,

Putins völkerrechtswidriger Krieg konfrontiert uns mit einer neuen sicherheitspolitischen Wirklichkeit. Aber ich glaube, auch das ist wichtig: Nicht alles ist plötzlich neu und anders. Sondern wir müssen unseren Blick dafür schärfen, was neu ist. Und auch dafür, was wir gut gemacht haben und was wir fortführen müssen. Es ist klar, dass die Einsätze unserer Soldatinnen und Soldaten nicht mehr automatisch tausende Kilometer entfernt von Flensburg oder Freiburg sein werden. Trotzdem bleiben auch diese Einsätze wichtig. Und in diesem Sinne werden wir jetzt unsere Sicherheitspolitik neu definieren.

Ich finde – wie ich eingangs gesagt habe, gerade, weil es so eine große Herausforderung ist –, wir können diesen Prozess selbstbewusst gemeinsam angehen. Denn auf Putins Krieg haben wir gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern als liberale Demokratien entschlossen reagiert. Mit Partnern, die unsere Werte teilen und sich wie wir bekennen. Eben nicht allein der Westen, sondern ein Bündnis von liberalen Demokratien weltweit. Die zum Völkerrecht stehen, zur Demokratie und zu einer regelbasierten internationalen Ordnung.

Und wenn wir beweisen wollen, dass die liberale Idee stärker ist, als autoritäre Regime, dann müssen wir unsere Prinzipien noch effektiver in praktische Politik umsetzen: Durch klare Haltung, durch entschiedenes Handeln und mit Instrumenten, die agil, effektiv und auf der Höhe der Zeit sind.

Wir werden dabei besonnen und pragmatisch vorgehen. Nicht mit Schwarz-Weiß-Kategorien, sondern mit Mut zur Abwägung und Mut zur Auseinandersetzung. Und mit klarem Wertekompass in der Hand: Für die Sicherheit der Freiheit unseres Lebens. Für unseren Frieden und die Zukunft unserer Kinder in einem gemeinsamen, demokratischen Europa.

Herzlichen Dank.


Ich möchte daher erneut Desmond Tutu zitieren: „If you are neutral in situations of injustice, you have chosen the side of the oppressor.“

Das gilt für unseren Umgang mit Russland. Das gilt aber auch für unseren Umgang mit anderen autokratischen, diktatorischen Regimen, die Freiheit und Demokratie und Sicherheit in Frage stellen, die unsere internationalen Regeln brechen.

Diese Worte von Frau Baerbock, sind aus meiner Sicht die wichtigste Selbsterkenntnis in der deutschen Politik seit Jahrzehnten.

Der Ukraine Krieg ist nur das letzte sehr deutliche Beispiel einer langen Reihe von internationalem Versagen der westlichen Politik. Von Afghanistan, über Syriern zu Iraq/Iran, Mali, Türkei, China und die Uiguren. Die westliche Politik lässt die Menschen in Not, die selbst keine Schuld tragen im Stich.

Gleichzeitig wurden angebliche Demokratische Rechtsstaaten wie z.B. die USA erlaubt international zu tun was sie wollen, ohne jegliche Konsequenzen. Wie oft hat die USA in der Vergangenheit selbst mächtig die Grenzen von souveränen Staaten ignoriert, um eigene Interessen durchzusetzen und dies oftmals durch das töten.

Deutschland und Europa müssen endlich Ihr Rückgrat finden und Unabhängigkeit von der USA finden.

Gleichzeitig gilt es aber auch alle Interessen der Internationalen Staaten zu berücksichtigen, inkl. Russland. Auch wenn was derzeit passiert in keiner Form zu rechtfertigen ist, hat Russland sehr wohl berechtigte eigene Sicherheitsinteressen die nicht einfach ignoriert werden dürfen.

Leider macht Frau Baerbock aber auch einen Fehler, einen der schon mehr als 70. Jahre lang gemacht wurde:

Und auch das hat uns der Krieg vor Augen geführt: Die nukleare Abschreckung der NATO muss glaubhaft bleiben.

Das nukleare Abschreckungs-Paradoxon. Was meine ich damit? Sobald die Anzahl der nukleare Waffen die Zahl erreicht hat, bei dem die Erde vollständig zerstört wird, hat jede weitere nukleare Waffen keinen Sinn mehr. (Mit vollständig wird die Auslöschung von menschlichen Leben gemeint und nicht die Zerstörung des gesamten Planeten, obwohl wir Menschen vermutlich dazu auch mittlerweile fähig sind.)
Es wird, wie es bereits durch Russland gemacht, mit nuklearen Abschreckungswaffen gedroht, aber Sie werden nicht eingesetzt, da es jedem klar ist das es das Ende wäre. Somit ist diese Drohung zwecklos und sinnlos. Sie hebt sich quasi selbst auf. Die vollständige Auslöschung ist keine Drohung, da es keiner mitbekommt oder die Folgen erlebt.
Viel Abschreckender wäre nur eine geringe Anzahl von nukleare Waffen, so das z.B. *nur* ein paar Städte ausgelöscht werden könnten.