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Rede von Bundeskanlzer Scholz bei dem 13. Petersberger Klimadialog

Quelle: bundesregierung.de

Exzellenz, sehr geehrter Herr Präsident Al-Sisi,
sehr geehrter Herr Hart,
sehr geehrte Damen und Herren Ministerinnen und Minister,
liebe Annalena Baerbock,
meine Damen und Herren,

es gibt einen Gedanken, der weltweit seit Jahrtausenden eine Triebfeder für Fortschritt ist. Er lautet: „Kommenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen“. Dieser Gedanke ist zentral, wenn wir über das Klima unseres Planeten sprechen ‑ und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil er uns mit dem konfrontiert, was wir eigentlich alle längst wissen: Wenn wir nicht viel schneller, entschlossener und geeinter handeln beim Klimaschutz, dann wird dieses Versprechen an künftige Generationen nicht zu halten sein.

Die jüngste Hitzewelle in Indien und Pakistan, die Fluten Anfang des Jahres in Brasilien oder im vergangenen Jahr im Ahrtal und in Nordrhein-Westfalen, an die wir letzte Woche erinnert haben ‑ sie sprechen eine eindeutige Sprache: Wir müssen die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen.

Der Gedanke an künftige Generationen weist aber zugleich auch den Weg nach vorne. So wie die Hoffnung auf Wohlstand, auf ein besseres Leben seit Jahrtausenden für Fortschritt sorgt, so kann sie auch den Klimaschutz entscheidend voranbringen ‑ wenn, ja wenn es uns gelingt, das Ziel der Klimaneutralität mit diesem Wohlstandsversprechen zu verbinden! Das, meine Damen und Herren, muss unser Weg sein.

Zwei Milliarden Menschen mehr als noch heute werden in 30 Jahren voraussichtlich auf der Erde leben, vor allem in Afrika, in Asien und in Lateinamerika. Glauben wir wirklich, dass wir sie vor die Wahl stellen können: entweder Klimaschutz oder Wohlstand? Für sie alle muss es eine Perspektive auf Wohlstand und auf einen intakten Planeten geben.

Genauso wenig können wir von den Bürgerinnen und Bürger unserer Länder verlangen, weniger mobil zu sein. Wie soll das gehen in einer globalisierten und vernetzten Welt?

Klimaschutz wird nur dann erfolgreich sein, wenn er von einer breiten Mehrheit unserer Gesellschaften getragen wird. Das gilt für all unsere Länder. Anders ausgedrückt: Klimaschutz gelingt, wenn er unser Leben spürbar besser macht ‑ durch eine moderne, bezahlbare Energieversorgung etwa, durch Windräder und Solaranlagen anstelle von rauchenden Schloten, durch Mobilität ohne Abgase.

Ein Beispiel, wie das gehen kann, kommt aus Ägypten. Dort baut Ihre Regierung, Herr Präsident, gerade ein hochleistungsfähiges Eisenbahnnetz, das Menschen verbindet und zugleich das Klima schützt.

Damit ist die Herausforderung beschrieben, die vor uns liegt: natürlich Klimaschutz voranzutreiben und zugleich Wohlstand zu sichern und neuen zu schaffen.

In Deutschland haben wir schon zu Beginn dieser Legislaturperiode gesagt: Dieses Jahrzehnt wird das Jahrzehnt der Transformation; das Jahrzehnt, in dem wir das Fundament errichten für eine CO2-neutrale Wirtschaft. In weniger als 25 Jahren ‑ bis 2045 ‑ wollen wir eines der ersten klimaneutralen Industrieländer werden.

Putins brutaler Angriffskrieg gegen die Ukraine, sein Einsatz von Energie als Waffe, die rasant steigenden Energiepreise: All das bestärkt uns nur in diesem Ziel. Wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas ‑ fast hätte ich gesagt: mit Vollgas. Also, unsere Devise lautet: Jetzt erst recht!

Denn was uns nicht passieren darf, das ist, jetzt in eine globale Renaissance der fossilen Energie und insbesondere der Kohle hineinzuschlittern. Niemand kann zufrieden sein damit, dass auch bei uns der Anteil der Kohleverstromung gerade wieder steigt, als Reaktion auf drohende Engpässe bei der Gasversorgung. Umso wichtiger ist es, dass wir eines ganz klar festhalten: Das ist eine zeitlich eng befristete Notmaßnahme, die nicht zu Lasten unserer Klimaziele geht.

Dasselbe gilt für Investitionen in die Gasinfrastruktur. Ja, wir brauchen vorübergehend neue LNG-Kapazitäten, damit hier und in vielen anderen Ländern weltweit nicht die Lichter ausgehen bei den Menschen zu Hause und in den Betrieben ‑ in Betrieben, übrigens, die oft genau die Technologien erzeugen, die wir auf dem Weg zur Klimaneutralität brauchen.

Aber klar ist eben auch: Alles, was wir heute zur Sicherung der Gasversorgung tun, das muss in Einklang stehen mit unserem Ziel, in Zukunft in Deutschland und weltweit CO2-neutral zu werden. Konkret heißt das: Wir schaffen keine neuen dauerhaften Abhängigkeiten von fossilen Energiequellen ‑ bei uns nicht und auch nicht in den Produktionsländern.

Wenn wir heute neue Energiepartnerschaften schließen, dann mit der klaren Perspektive für die Energiewende und einem Umstieg auf grünen Wasserstoff. Und nicht zuletzt versehen wir die Nutzung fossiler Energie mit einem Enddatum. Beim G7-Gipfel in Elmau haben wir beschlossen, den Energiesektor in unseren Ländern bis 2035 so weit wie möglich zu dekarbonisieren.

Für Deutschland bedeutet das: 80 Prozent unseres Stromverbrauchs werden wir schon im Jahr 2030 aus erneuerbaren Energien beziehen. 50 Prozent der Wärme werden wir bis dahin klimaneutral erzeugen. Das sind die Wegmarken, die wir uns gesetzt haben.

Die Weichen dorthin haben wir in den letzten Wochen und Monaten gestellt. Wir haben neue Ausbauziele festgeschrieben, zum Beispiel, dass zwei Prozent unserer Landfläche künftig für Windkraft genutzt wird. Genehmigungsverfahren werden ganz erheblich beschleunigt. Vor allem aber haben wir eines gesetzlich festgelegt: Der Ausbau erneuerbarer Energien liegt von nun an ‑ nicht nur politisch, sondern auch von Rechts wegen ‑ im überragenden öffentlichen Interesse ‑ im Interesse des Klimaschutzes, im Interesse einer bezahlbaren Energieversorgung und im Interesse der Sicherheit und Energieunabhängigkeit unseres Landes.

Wir sehen all das als unseren Beitrag zu einer globalen Kraftanstrengung von Industrieländern, Entwicklungs- und Schwellenländern gemeinsam. Und auch unser Treffen unterstreicht das. Wir machen dem Namen dieses Raums heute alle Ehre: Das hier ist dank Ihrer Teilnahme ein echter „Weltsaal“!

Damit das 1,5-Grad Ziel nicht aus dem Blick gerät, müssen wir unsere Co2-Emissionen global noch in diesem Jahrzehnt nahezu halbieren. Auch das gelingt uns nur, wenn wir Klimaschutz und Wohlstand zusammendenken. Wir brauchen weltweit Autos, die mit erneuerbarem Strom fahren, und Flugzeuge, die klimaneutrale Kraftstoffe im Tank haben; Co2-neutralen Stahl und klimaneutralen Zement, um unsere Brücken und Häuser zu bauen; grünen Wasserstoff, der unsere Industrien antreibt; hochleistungsfähige Windräder und Solaranlagen. Auch die Güterströme zwischen unseren Ländern müssen klimafreundlich werden.

Kurzum: Wir müssen den Umbau zur Klimaneutralität als ein weltumspannendes Modernisierungsprogramm angehen, bei dem Staaten, Unternehmen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Bürgerinnen und Bürger eng zusammenarbeiten.

Bei unserem G7-Gipfel in Elmau haben wir deshalb eine Partnerschaft für globale Infrastruktur und Investitionen ins Leben gerufen. Gemeinsam mit der Wirtschaft wollen wir im Laufe der nächsten fünf Jahre 600 Milliarden Dollar in moderne Infrastruktur investieren, in Digitalisierung, Gesundheit, Bildung und saubere Energie. Das wird auch den Klimaschutz erheblich voranbringen.

Ein Schwerpunkt unseres deutschen Engagements wird auf den „Just Energy Transition Partnerships“ liegen. Zusammen mit Entwicklungsbanken und Unternehmen bieten wir den Partnerländern Unterstützung bei der Dekarbonisierung ihres Energiesektors an. Es ist kein Zufall, dass das erste Partnerland mit Südafrika ein Land in Afrika ist. Mit weiteren Ländern sind wir im Gespräch, um weitere Partnerschaften zu vereinbaren.

Und wir wollen mehr tun, um die Energiewende gerade auch auf unserem Nachbarkontinent voranzubringen. Die UN-Klimakonferenz in Ihrem Land, Präsident Al-Sisi, ist die Gelegenheit dazu.

Partnerschaften wie die „Just Energy Transition Partnerships“ leisten einen ganz konkreten Beitrag, um den UN-geführten Klimaprozess und seine Ziele voranzubringen. Dieser Prozess bleibt zentral. Doch wenn wir die Pariser Klimaziele umsetzen wollen ‑ und das muss unser Ziel sein ‑, dann brauchen wir in Ergänzung zu den Klimakonferenzen auch neue Formen der Kooperation. Das ist die Idee eines offenen und kooperativen Klimaclubs. Auf dem G7-Gipfel haben wir Schritte zur Gründung des Klimaclubs noch in diesem Jahr vereinbart. Drei Ziele verspreche ich mir von einem solchen Zusammenschluss der Ambitionierten.

Erstens: Wir machen gemeinsam Tempo beim klimaneutralen Umbau unserer Industrien.

Hier sind wir noch nicht weit genug gekommen, weil alle fürchten, dass die eigenen Unternehmen zu den Nachbarn mit den laxeren Regeln abwandern. Aus diesem Dilemma kommen wir nur gemeinsam heraus, indem wir die internationale Kooperation in der Klimapolitik vertiefen, internationale Leitmärkte für klimafreundliche Technologien schaffen und das Vertrauen in die internationale klimapolitische Koordinierung stärken. So verhindern wir übrigens auch einen weltweiten Flickenteppich aus Zöllen und Einfuhrabgaben, einen Dschungel unterschiedlicher Standards und Messmethoden, strenger und weniger strenger Regeln.

Zweitens: Der Klimaclub schafft neue Märkte für klimafreundliche Produkte ‑ zum Beispiel für grünen Stahl oder grünen Wasserstoff.

Wenn wir ähnliche Bedingungen schaffen, ein „level playing field“, dann fördert das Investitionen in neue Technologien. Einen solch verlässlichen, internationalen Rahmen zu setzen ‑ das ist eine zentrale Aufgabe der Politik mit Blick auf den Klimaschutz.

Drittens: Wir bringen Nord und Süd, Industriestaaten, Schwellen- und sich entwickelnde Länder zusammen.

Der Klimaclub steht allen offen! Damit tatsächlich möglichst viele an Bord kommen, wollen wir diejenigen unterstützen, die ‑ Stand heute ‑ sonst nicht so schnell klimaneutral werden können.

Oft hakt es paradoxerweise gerade dort, wo Solar- und Windenergie sich dank guter geografischer Gegebenheiten eigentlich schon heute ganz ohne staatliche Förderung rentieren würden. Was aber fehlt, ist die Finanzierung. Finanzierungsmöglichkeiten müssen wir gerade für besonders verwundbare Länder und Bevölkerungsgruppen ermöglichen. Wir werden daher gemeinsam mit Entwicklungsbanken und dem Finanzsektor neue Investitionen auf den Weg bringen.

Als G7 stehen wir zu dem Ziel der Industrieländer, die Mobilisierung von 100 Milliarden Dollar für die Klimafinanzierung so schnell wie möglich und durchgehend bis 2025 hinzubekommen. Deutschland will bis spätestens 2025 das Ziel erreichen, mit mindestens sechs Milliarden Euro jährlich hierzu beizutragen. Auch das gemeinsame Versprechen der Industrieländer will ich bekräftigen, unseren Beitrag zur Anpassungsfinanzierung bis 2025 zu verdoppeln.

Sehr geehrter Herr Präsident Al-Sisi, gemeinsam mit Ihnen wollen wir auch praktikable Lösungen im Umgang mit klimawandelbedingten Verlusten und Schäden finden. Das wird ein großes Thema der anstehenden Klimakonferenz. Als G7 haben wir unterstrichen, dass wir betroffene Bürgerinnen und Bürger, aber auch betroffene Staaten nicht alleine lassen werden. Bis zur Klimakonferenz wollen wir daher einen globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken entwickeln.

Optimistisch stimmt mich, dass viele technologische Lösungen inzwischen auf dem Tisch liegen. Jetzt müssen wir es hinkriegen, dass diese auch weltweit zum Einsatz kommen. Denn dann, meine Damen und Herren, schaffen wir ganz automatisch auch das, was ich eingangs beschrieben habe: Klimaschutz und Wohlstand miteinander zu verbinden. Dann halten wir auch das große Versprechen, das seit jeher für menschlichen Fortschritt sorgt: Kommenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen, und zwar in einer lebenswerten Welt.

Schönen Dank!