Quelle: auswaertiges-amt.de
Eine Fragestunde zu Zeiten des Krieges: Ich glaube, es ist nicht nur nicht einfach, sondern es ist eigentlich kaum möglich, in einer Minute Fragen dazu zu beantworten, was wir tun können, um diesen furchtbaren völkerrechtswidrigen Krieg zu stoppen. Denn die brutale Realität ist: Wir können diesen Krieg nicht mit einfachen Antworten stoppen. Das kann allein der russische Präsident.
Daher ist es mir wichtig, hier heute im Namen der Bundesregierung eben nicht schnelle, einfache Antworten zu geben, sondern in dieser komplexen Lage, in der wir uns befinden, deutlich zu machen, was unsere Abwägungen sind, und vor allem ehrlich zu sein. Denn wir können in diesen Zeiten nur handeln, wenn wir gemeinsam mit unseren Bündnispartnern agieren, wenn wir entschlossen agieren und pragmatisch sind. So können wir dazu beitragen, Leid zu mindern, die Ukraine zu stützen, sie bei ihrem Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen und vor allen Dingen uns gemeinsam mit unseren internationalen Partnern geschlossen gegen das russische Regime aufzustellen.
Deswegen haben wir - das ist bekannt - in den letzten Wochen fünf Sanktionspakete gemeinsam beschlossen. Es sind Sanktionspakete, die, wenn es sein muss, auf Dauer tragen können, und zwar nicht nur für die Europäische Union, sondern auch für die Wertegemeinschaft international, die diese Haltung teilt.
Wir haben in den letzten Wochen alles dafür getan, unsere Hilfe für die Ukraine auszubauen: finanziell, vor allen Dingen humanitär und auch mit Waffen.
Da das Waffenthema eines der Themen war, das alle hier im Parlament, die Öffentlichkeit, die ganze Welt bewegt hat, möchte ich eingangs darauf fokussieren. Es ist wichtig, gerade hier im Hohen Haus deutlich zu machen, was unsere Abwägungen sind und vor allen Dingen welche Schritte wir gehen und was wir dann auch einhalten können. Denn Versprechen allein sind schnell gemacht; man hat dann eine schnelle Überschrift in der Zeitung generiert. Aber das Entscheidende ist doch, dass diese Waffenlieferungen auch ankommen müssen. Es geht nicht darum, dass wir uns besser fühlen, dass wir glauben, an einem Tag einmal etwas Richtiges gesagt oder getan zu haben, sondern das Entscheidende ist, dass wir die Ukraine, die mutigen Menschen dort vor Ort bei ihrem Kampf für ihre Freiheit, für ihren Frieden und für unsere europäische Sicherheitsordnung so unterstützen, dass sie damit auch wirklich Unterstützung erfahren.
Ich möchte hier ganz deutlich sagen: Wir stehen als größtes Land der Europäischen Union dabei in einer besonderen Verantwortung. Zu Recht fragen viele kleinere Länder: Wie genau können wir das machen? Wie genau können wir das machen, die nicht die finanziellen Mittel haben, die nicht die Schlagkraft haben, die nicht die diplomatischen Vertretungen weltweit haben? Daher war es für uns so wichtig, dass wir uns bei diesen Waffenlieferungen mit unseren Partnern entsprechend abstimmen und immer gemeinsame Schritte gehen.
Wir haben am Anfang einen bestimmten Weg gewählt; denn in einem Krieg, der mit allen Regeln, auf die wir uns verständigt hatten, bricht, kann man nicht voraussehen: Rational gesehen müsste das russische Regime Folgendes tun. - Nein, wir wissen nicht, was der nächste Schritt ist. Deswegen haben wir uns entschieden, als wir am Anfang hier im Bundestag deutlich gemacht haben: „Ja, auch wir liefern Waffen“, dass wir nicht groß darüber sprechen. Man kann nun rückwirkend fragen: War das sinnvoll? War das nicht sinnvoll? Es war damals unsere Entscheidung in der Verantwortung dafür, dass diejenigen, die diese Waffen dann transportieren, nicht angegriffen werden oder dass die Waffen überhaupt ihr Ziel erreichen können.
Uns ist klar - das haben wir weltweit erlebt; das erlebe ich auch als Außenministerin -, dass dann natürlich viele Fragen kommen. Deswegen möchte ich jetzt, wo die Waffen, die wir geliefert haben, angekommen sind, im Namen der Bundesregierung einmal deutlich machen, was wir geliefert haben - ohne zu stark ins Detail zu gehen -: Tausende Panzerfäuste, Flugabwehrraketen vom Typ Stinger, Fliegerfäuste vom Typ Strela, im zweistelligen Millionenbereich Munition, Bunkerfäuste, Maschinengewehre, Panzerabwehrrichtminen, im sechsstelligen Bereich Handgranaten, Sprengladungen. Darüber hinaus haben wir, als wir keine eigenen Bestände mehr hatten, eine Industrieliste aufgelegt, die die Lieferung weiterer Panzerminen und vor allen Dingen Artilleriemunition vorsieht.
Wir haben vor allen Dingen am 6. April, als die Brutalität dieses Krieges noch einmal auf ganz dramatische Art und Weise zugeschlagen hat, gesagt: Wir müssen jetzt als NATO-Partner anders reagieren. - Deswegen hatten wir am 6. April - wir alle wissen, was das für ein Tag war; da hatten wir hier eine andere Abstimmung - ein gemeinsames NATO-Außenministertreffen. In meiner Verantwortung als Außenministerin dieses Landes und G-7-Vorsitz haben wir uns am Abend davor mit unseren G-7-Partnern verständigt, wir müssen diese Lieferung besser koordinieren, denn wir haben festgestellt: Niemand hat alles. Unsere Länder haben nicht wie Russland in den letzten Jahren massiv aufgerüstet, weil wir an die Friedensordnung geglaubt haben.
Wir haben ab dem 6. April - und zwar nicht in aller Öffentlichkeit, sondern so, dass es funktioniert - einen Ringtausch vorbereitet, der zum Zweck hat, dass die Materialien, die wir brauchen, also auch Panzer sowjetischer Bauart, die sofort bedient werden können, dann von unseren Partnern geliefert werden können. Wir füllen dann die Lücken, die bei anderen Armeen dadurch entstehen. Das ist Sinn und Zweck dieses Ringtausches: gemeinsam zu agieren, und nicht zu sagen, wer schneller oder wer besser ist, sondern gemeinsam das zu leisten, was wir jetzt, dieser Tage leisten können.
Darüber hinaus - das haben Sie gestern mitbekommen - hat die Verteidigungsministerin - auch wieder nicht als Schnellschuss - bei einem gemeinsamen Treffen mit den anderen Verteidigungsministerinnen und Verteidigungsministern erklärt, dass wir zusätzlich Gepard-Flugabwehrpanzer liefern werden. Ja, das ist ein weiterer Schritt, und das ist der Schritt, den wir jetzt gemeinsam gehen können.
Zugleich bereiten wir mit den Niederländern - aber ich kann da noch nicht ins Detail gehen - ein Projekt vor, in dem wir unsere Materialien, Munition und Ausbildung zusammenbringen. Auch hier zeigt sich wieder: Nicht ein Land hat komplett alles, was man liefern kann, sondern nur zusammen können wir etwas erreichen.
Zugleich ist - das hat meine Reise ins Baltikum unterstrichen - unsere große Herausforderung, dass wir unser eigenes Bündnisgebiet sichern müssen. Hier in Berlin fühlen wir uns wohl. Da sagen wir: Die Grenze ist Tausende von Kilometern entfernt. - Aber wenn man im Baltikum steht, wenn man auf die andere Seite wirklich rübergucken kann, wenn man sich vergegenwärtigt, was eigentlich der Suwalki-Korridor ist, nämlich eine ganz schmale Strecke, wo das Baltikum abgeschnitten werden kann, dann können wir nicht einfach sagen: „Ja, ja, wir sind schon da, wenn was passieren sollte“, sondern dann haben wir die Verantwortung, unsere baltischen Freunde und Nachbarn, die wie wir schon einmal einen Freiheitskampf für uns alle gekämpft haben, zu unterstützen.
Auch das ist jetzt unsere gemeinsame Herausforderung.
Letzter Satz, weil die Lage eben so komplex ist: Wir tragen als eines der größten Industrieländer dieser Welt eine Verantwortung. Dieser Krieg betrifft die ganze Welt, egal ob man bei den Sanktionen mitmacht oder nicht, egal ob man an eine internationale regelbasierte Ordnung glaubt oder nicht. Aber wir als Industrieländer haben die Verantwortung, andere Länder nicht aus dem Blick zu verlieren. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen, die mit in der Sahelzone waren. Wir erleben auf dramatische Art und Weise: Neben diesem brutalen Krieg wird es eine Ernährungskrise, einen Ernährungskampf geben, der mitten in die Klimakrise reinschlägt. Das müssen wir gemeinsam angehen: pragmatisch und mit der Verantwortung, dass auch Deutschland eine Führungsrolle hat.
Herzlichen Dank.